14.04.2020

Umgang mit der Corona-Pandemie in Tschechien

In Tschechien hat die von Ministerpräsident Andrej Babiš geführte Regierungskoalition unter Beteiligung der Sozialdemokraten sehr früh auf die drohende Gefahr der Verbreitung des Covid-19 reagiert: Bereits Anfang Februar wurde der Flugverkehr zwischen China und Tschechien eingestellt und Ende Februar eine Reisewarnung für die vom Corona-Virus stark betroffenen Gebiete in Norditalien gegeben, die kurz darauf in eine Quarantänepflicht für Rückreisende aus diesen Gebieten mündete. Am 12. März wurde ein 30-tägiger Notstand ausgerufen. Die meisten Schulen und Kindergärten waren da schon geschlossen.

Danach ging alles Schlag auf Schlag: Schließung aller Restaurants sowie aller nicht für die Grundversorgung nötigen Geschäfte, Verordnung einer landesweiten Ausgangssperre, die nur noch Wege zur Arbeit, Apotheke und Lebensmittelgeschäften sowie zu Älteren und anderen Hilfsbedürftigen (mit Ausnahme von Krankenhäusern, Pflege- und Altersheimen) erlaubt, Pflicht Mundschutz außerhalb der eigenen Wohnung zu tragen, Einführung spezieller Einkaufszeiten für ältere Menschen. Derzeit ist das Pilotprojekt „smarte Quarantäne“ zur Nutzung von Handydaten angelaufen. Über Funkzellenabfragen und Daten von Bezahlkarten sollen all jene Menschen ermittelt werden, die in Kontakt mit Covid-19-Erkrankten standen und innerhalb weniger Stunden von einem Testteam auf das Virus untersucht werden. Sollte das Pilotprojekt in Südmähren erfolgreich sein, könnte es nach Ostern auf das ganze Land ausgedehnt werden.

Auch bei der Schließung der Grenzen war Tschechien vorneweg. Tschechische Staatsbürger und Ausländer mit Daueraufenthalt dürfen ihr Land bis auf weiteres nicht mehr verlassen. Tschechische Pendler können ausreisen, wenn sie mindestens drei Wochen im Ausland bleiben und müssen bei Rückkehr in die Heimat in eine 14-tägige Quarantäne. Ausnahmeregelungen bestehen für medizinisches Personal.

Diese frühen restriktiven Maßnahmen könnten gewirkt haben: Laut Johns Hopkins University sind von den 10,6 Millionen Einwohnern bis zum 6. April insgesamt 4 591 erkrankt, 72 gestorben und 96 wieder gesund. Auf die Bevölkerungszahl bezogen sind dies signifikant weniger Erkrankte als in Deutschland, wobei zu berücksichtigen ist, dass in Tschechien vermutlich deutlich weniger Tests durchgeführt werden. Die weiter steigenden Fallzahlen sind eine große Herausforderung für das unterversorgte Gesundheitssystem. Nur 7,5 Prozent des BIPs fließen in den Gesundheitssektor. Wegen niedriger Gehälter suchen viele Mediziner und Pfleger eine Beschäftigung im europäischen Ausland.

Die wirtschaftliche Lage in Tschechien war bislang gut: Die Wachstumsraten haben sich in den vergangenen Jahren zwischen zwei und drei Prozent bewegt, die Verschuldungsrate ist mit 32 Prozent die viertniedrigste und die Arbeitslosigkeit mit 2 Prozent die niedrigste in der EU. Doch der Shut-down wird das exportorientierte Land in eine tiefe wirtschaftliche Krise stürzen. Fachleute rechnen mit einem wirtschaftlichen Einbruch von vier bis zehn Prozent. Die tschechische Krone hat bereits um 8 Prozent gegenüber dem Euro nachgegeben.

Die sozialdemokratische Arbeitsministerin hat ein „Antivirus“-Paket vorgelegt. Danach erhalten die Arbeitnehmer ein Kurzarbeitergeld, die Arbeitgeber einen maximalen staatlichen Zuschuss von 80 Prozent. Da Tschechien nach wie vor zu den Niedriglohnländern zählt und die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits vor der Krise ein Einkommen bezogen haben, mit dem sie nur knapp ihre Grundbedürfnisse befriedigen konnten, wird dieses Kurzarbeitergeld viele in ernsthafte Existenzprobleme stürzen. Die Arbeitslosigkeit könnte auf acht Prozent steigen. Für Unternehmen wurde das „COVID-Programm“ verabschiedet und damit kleinen und mittleren Unternehmen zinslose Kredite zur Verfügung gestellt sowie Gewerbetreibenden ohne Einnahmen eine geringfügige einmalige Unterstützung zugesprochen.

Die Gewerkschaften sind in den Debatten um geeignete Maßnahmen zur Krisenbekämpfung relativ stark vernehmbar. Auch bei dem neu einberufenen wirtschaftspolitischen Expertengremium, das die Regierung beraten soll, ist der Dachverband ČMKOS vertreten. Er legt Wert auf möglichst großzügige Ausgestaltung der Kurzarbeit und allgemeine Aufrechterhaltung der Kaufkraft der Bevölkerung, spricht sich für das Aussetzen von Kreditrückzahlungen aus und plädiert für die Verhinderung von üblichen hohen Kapitalabflüssen ins Ausland zur Deckung der zusätzlichen Kosten.

Ministerpräsident Andrej Babiš geriert sich als europäischer Vorreiter bei der Corona-Bekämpfung. Grundsätzlich hat die Bevölkerung alle eingeführten Maßnahmen ohne große Kritik hingenommen, aber seine Kritikerinnen und Kritiker bemängeln ein fehlerhaftes Krisenmanagement. Viele trauen ihm nicht zu, diese Krise in den Griff zu bekommen. Seit Anfang April ist Innenminister Jan Hamáček Chef des Krisenstabs. Er ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei. Ob die Sozialdemokraten daraus politisches Kapital schlagen können oder in Mithaftung für teils missglücktes Krisenmanagement des ohnehin sehr polarisierenden Babiš gezogen werden, bleibt abzuwarten. Bekommt Tschechien die Krise nicht in den Griff, hätte Ministerpräsident Babiš einen Buhmann.

Den Ruf nach europäischer Solidarität zwischen Nord und Südeuropa hat Tschechien nicht weiter kommentiert. Auch wenn das Land derzeit kein Musterknabe in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist: Solidarität für die Betroffenen muss es auch zwischen West und Ost geben, gerade weil die Wertschöpfungsketten hier besonders stark miteinander verknüpft sind.

Friedrich-Ebert-Stiftung
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